29.03.2024 Herzlich willkommen!

Der Sturm im Wasserglas: Viel Wind im Kampf um die Quote

Der „Klodeckel des Tages“ geht einmal mehr an das gebührenfinanzierte Fernsehen und dabei stellvertretend an den „ARD Brennpunkt“. Dass die GEZ-Ritter ihre Nachrichtenformate mehr und mehr mit Trivialitäten füllen, stößt nicht nur der ehemaligen „Tagesthemen“-Ikone Ulrich Wickert bitter auf. Der Mann, der dem ARD-Nachrichtenflaggschiff 15 Jahre lang ein Gesicht gab, dürfte wissen, wovon er spricht. Nicht nur er vermisst immer häufiger das Verständnis der Programmdirektoren für den Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diesem werden ARD und ZDF bestenfalls noch in einigen ihrer Spartensender gerecht, allerdings schamvoll versteckt und lieblos präsentiert. In den Hauptnachrichten der Konzernmütter tritt hingegen die Information zunehmend hinter die Unterhaltung zurück. Dies gilt besonders für das ZDF, bei dem die grafischen Mätzchen ebenso unangenehm auffallen wie die aufgesetzte Lockerheit der Studio-Duos. Der Boulevard regiert und kommt daher regelmäßig in Einspielern zu Wort, weil die „Stimme von der Straße“ offenbar im Mitmachfernsehen nicht mehr fehlen darf. All das ist noch recht belustigend im Vergleich zum unguten Gefühl, die Auswahl der „Nachrichten“ orientiere sich daran, ein bestimmtes Weltbild zu zementieren.

Als wären Propaganda und Schnickschnack nicht schlimm genug, fällt ein zunehmender Hang zum Sensationsjournalismus auf. Waren „Brennpunkte“ früher vor allem geschichtsträchtigen Ereignissen wie dem Mauerfall, dem Irak-Krieg oder dem Beinahe-Kollaps des Finanzsystems vorbehalten, reicht der nach Skandalen und Sensationen gierenden Unterhaltungsgesellschaft heute schon vergammeltes Fleisch, ein Bahnstreik oder das Wetter. Und gerade die Inflation der Sondersendungen zu mehr oder weniger interessanten Wetterkapriolen entwertet das „Brennpunkt“-Format immer weiter. Diesmal war es also ein Sturm. Natürlich werden Flug- und Bahnverkehr von derlei Wetterextremen beeinträchtigt. Und Überschwemmungen oder abgedeckte Dächer sind für die Betroffenen oft furchtbare finanzielle Tragödien. Aber lassen wir die Kirche doch mal im Dorf. Kaum gibt es einen verregneten Juli , fallen mal ein paar Schneeflocken oder steigt das Thermometer an drei Tagen in Folge über 30 Grad, erwacht der Übereifer der Redaktionen. Akribisch wird in den Archiven der Menschheitsgeschichte nach Vergleichbarem gekramt und jeder Passant in einem größtmöglichen Umkreis um das Epizentrum der herbeigeredeten Katastrophe vors Mikrofon gezerrt.

Und wo nichts zu berichten ist, wird eine vom Winde verwehte Reporterin minutenlang sinnlos per Live-Schaltung befragt, auf dass ihr wild flatterndes Haar und das Rauschen des Sturms den Zuschauer in Angst und Schrecken versetzen mögen. So geschehen am vergangenen Donnerstag, als der sichtlich bemühte Studiomoderator nicht einmal die wenigen Minuten „Brennpunkt“ mit Inhalt zu füllen vermochte. Da half es auch wenig, die bunt eingefärbten Strömungsfilme auf der Wetterkarte immer und immer wieder ablaufen zu lassen. Die Hälfte der Sendezeit war ohnehin einem Filmbeitrag gewidmet, in dem ein Landwirt im entlegensten Winkel Norddeutschlands in aller Seelenruhe mit seinem Enkel Holzlatten an die Fenster des am Meer stehenden Hauses nagelte. Die aufreizende Ruhe des alten Mannes, der schon die Sturmflut von 1962 erlebt hatte, musste den Programmmachern größtes Unbehagen bereiten. Im „Brennpunkt“ am Folgetag gab es ebenso wenig zu berichten. Viel Wind eben und hohe Pegelstände, aber keine Katastrophen. Letztlich ist das GEZ-finanzierte Abgleiten ins Profane natürlich ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und das ist die eigentliche Katastrophe, die längst mal einen „Brennpunkt“ verdient hätte.

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