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Die neue EU-Freizügigkeit: Karlsruhe bricht das Parteienkartell

Wieder einmal greift der „Klodeckel des Tages“ ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf. Und erneut ziert die unvorteilhafte Auszeichnung keinesfalls die Richter. Die zweifelhafte Ehre wird der SPD-Politikerin Kerstin Westphal zuteil, die nach dem am Mittwoch verkündeten Fall der 3%-Hürde offenbar den Untergang Europas befürchtet. Auch Deutschland hat also nun – wie die Hälfte der EU-Staaten – keine Sperrklausel mehr für die Europawahl. Das höchste deutsche Gericht habe damit „den Anti-Europäern Tür und Tor geöffnet“, malt die gelernte Erzieherin die Zukunft des Kontinents in düsteren Farben. Ihr geharnischtes Statement gipfelt in der Feststellung, es gebe schon heute unter den 766 Abgeordneten rund 100, „die als Anti-Europäer und Rechtspopulisten versuchen die europäische Volksvertretung zu sabotieren und zu demontieren“. Das wären, liebe Frau Westphal, gut 13% Extremisten, wenn wir der Einfachheit halber mal annehmen, dass Ihre Unterstellung zutrifft. Im Bundestag sind jeweils rund 10% der Sitze an Linkspartei und Grüne vergeben. Wenn das deutsche Parlament also 20% Extremisten aushält, dürfte dies den Europa-Abgeordneten irgendwie auch gelingen.

Geht es der seit 2009 im europäischen Parlament sitzenden 52-Jährigen am Ende vielleicht gar nicht wirklich um Europa, sondern einfach nur um die eigenen Pfründe? Das könnte auch für viele ihrer Kollegen in den beiden großen deutschen Parteien gelten. Auffällig ist nämlich, dass die harsche Kritik am Karlsruher Urteil fast ausschließlich aus den Reihen von CDU und SPD kommt. Dort ist die Zahl derer, die nach dem Richterspruch etwas zu verlieren haben, besonders groß, muss man sich ab sofort doch einer weitaus größeren Konkurrenz um die nur noch 96 deutschen EU-Mandate stellen. Zwar werden künftig immer noch knapp 1% der Stimmen benötigt, um einen Sitz im EU-Parlament zu ergattern, doch dürfte dies einer ganzen Reihe von Parteien am 25. Mai auch gelingen. Dass sich darunter vor allem „Radikale und Verrückte“ befinden, wie CDU-Mann Herbert Reul befürchtet, ist eine Diffamierung, aus der die ganze Verzweiflung über Mitbewerber spricht, die man sich durch schier unüberwindbare Marktzugangsbarrieren bisher vom Leib gehalten hatte. Natürlich birgt die traditionell geringe Wahlbeteiligung bei der Europawahl die Gefahr, dass ohne Sperrklausel künftig Parteien vom linken und rechten Rand Mandatsträger nach Straßburg und Brüssel entsenden.

Wer aber diese Extremisten in einen Topf mit Demokraten wirft, die die Intransparenz der Europäischen Union oder den Wahnsinn der Euro-„Rettungsmaßnahmen“ kritisieren, macht sich verdächtig, populistische Hetze zu betreiben. Womöglich sind also nicht die Kritiker der aktuellen EU die Anti-Europäer, sondern jene, die das Europaparlament möglichst wirksam gegen Andersdenkende abschotten wollen. Das Urteil der Karlsruher Richter ist somit schon deshalb zu begrüßen, weil es endlich zu mehr Meinungsvielfalt im EU-Apparat führen wird, wenn die Schar der deutschen Abgeordneten nicht mehr nur aus den üblichen handverlesenen Parteisoldaten besteht. Das kann der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Europaparlaments nur guttun. Und es könnte auf lange Sicht der Erkenntnis zum Durchbruch verhelfen, dass ein enger Verbund starker souveräner Nationalstaaten die beste aller Alternativen ist und weder eine Brüsseler Supernanny, noch das Korsett einer gemeinsamen Währung benötigt, um erfolgreich zu sein. Und auch Frau Westphal wird ihr Herz für die Demokratie sicher bald entdecken – spätestens, wenn ihre Brüsseler Mission beendet ist. Dann darf sie wieder ganz Bürgerin sein und Selbstverständliches auch aussprechen…

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