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Er ist wieder da: Die Rückkehr des regimetreuen Denunzianten

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Photo by Skley

Es war im Jahr 2011, als der Schreckensherrscher des II. Weltkriegs mitten in Berlin auf einer Wiese wieder zum Leben erwachte. Glücklicherweise nur im Roman. Der Satirestoff mit dem Titel „Er ist wieder da“ eroberte seinerzeit die Bestseller-Listen und lieferte 2015 die Grundlage für den gleichnamigen Kino-Hit. Der Film zeigte die ganze Bandbreite menschlicher Schwächen auf, von den Mitläufern bis zu den Denunzianten, die so untrennbar zu jedem Gesinnungsregime gehören, wie der Gemeinschaftskult. Die erfundene Auferstehung erreichte damals Millionen von Menschen. Grund des Erfolges war sicher auch, dass das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte einmal ganz anders bewältigt wurde: Mit humorvoller Leichtigkeit gab man den Diktator der Lächerlichkeit preis. Ganz und gar nicht lustig und zudem absolut real ist, was sich inzwischen regelmäßig hierzulande abspielt. Denn die regimetreuen Denunzianten, wie man sie aus den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts kennt, sind tatsächlich wieder da. Einer von ihnen hatte in der abgelaufenen Woche seinen großen Auftritt. Christopher Lauer, der Berliner Ex-Pirat mit der markanten schwarzen Brille, gefiel sich darin, eine an ihn verschickte Email mit brisantem Inhalt einem breiten Publikum zur Kenntnis zu bringen. Darin hatte der Mitarbeiter einer Sparkasse erbost auf Lauers Einlassungen zum Reizwort „Nafri“ geantwortet – vom Email-Konto des eigenen Arbeitgebers.

Dabei darf die Frage erlaubt sein, ob Lauer genauso gehandelt hätte, wäre der Inhalt der Email mit anderen Parteien verknüpft gewesen

Es zeugt von mangelnder Professionalität und einer guten Portion Dummheit, private Nachrichten von der geschäftlichen Email-Adresse zu versenden, zumal dann, wenn sie politische Statements enthalten. Nicht nur, dass man sich als Arbeitnehmer damit arbeitsrechtlichen Konsequenzen aussetzt, sondern auch und vor allem, weil man seinem Gegenüber mit der politischen Tirade gleichzeitig sämtliche Informationen über die eigene Person frei Haus mitliefert. Und Lauer, der sich vor wenigen Monaten der SPD angeschlossen hatte, griff dankbar zu. Denn die Wut-Mail des Sparkassen-Mannes enthielt nicht nur den Wunsch, die SPD möge bald in der Bedeutungslosigkeit versinken, sondern vor allem das Bekenntnis, die AfD sei „die einzig wahre Partei“. Lauer verschwendete keine Zeit, seine mehrere Zehntausend Anhänger umfassende Twitter-Fanschar über die Einlassungen seines Kontrahenten zu informieren. Gierig stürzten sich die Redaktionen auf den öffentlich gemachten Disput. Beim Stichwort AfD lässt die Gilde der Berufsschreiber alles stehen und liegen. Dabei darf die Frage erlaubt sein, ob Lauer genauso gehandelt hätte, wäre der Inhalt der Email mit anderen Parteien verknüpft gewesen. Ein glühender Fan der Linkspartei hätte mit einem gleichlautenden Statement und der Glorifizierung der Ex-SED wohl kaum eine ähnliche Denunziation zu befürchten gehabt.

An der Spitze der Bewegung steht Deutschlands Justizminister mit einer Stiftung, die die sozialen Netzwerke selektiv säubern soll

Diesen Schluss legt zumindest Lauers Twitter-Rechtfertigung nahe: „Natürlich stelle ich AfD-wählende Sparkassenmitarbeiter bloß, wenn die so dumm sind während der Arbeit von ihrem Dienstaccount beleidigende Mails zu verschicken“, ließ uns der 32-Jährige wissen. Und hier wird die Sache auch für den Ex-Piraten problematisch. Denn mit der Akzentuierung ist klar, dass es vor allem um die Denunziation eines AfD-Anhängers ging, nicht um die Offenlegung eines arbeitsrechtlichen Verstoßes und schon gar nicht um die Auseinandersetzung mit einer gegensätzlichen politischen Überzeugung. Entsprechend groß war der Shitstorm in den sozialen Medien. Dass Lauer daraufhin von zahlreichen Journalisten zum Opfer stilisiert wurde, verdreht Ursache und Wirkung in grotesker Weise. Er darf sich allerdings in bester Gesellschaft fühlen: Seit klar ist, dass die AfD nicht einfach wieder so verschwindet wie seinerzeit Lauers Piraten, überbieten sich Medien und Politik darin, die Denunziation nicht nur zu befördern, sondern geradezu einzufordern. An der Spitze der Bewegung steht Deutschlands Justizminister mit einer Stiftung, die die sozialen Netzwerke selektiv säubern soll. Ich kann nur an alle appellieren, dieser Anfänge zu wehren. Wohin sie führen können, wissen wir. Wie war das doch gleich mit Mitläufern, Denunzianten und Gemeinschaftskult?


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