19.03.2024 Herzlich willkommen!

Nach der Putsch-Posse: Der Westen bejubelt den Sieg des türkischen Führers

coup photo
Photo by Tim Green aka atoach

Gerade einmal gut drei Stunden dauerte das, was uns die Türkei als „Putschversuch“ vorspielen wollte. Als am Freitag gegen 22 Uhr zur besten Sendezeit eine Handvoll Soldaten mit ein paar Panzern und etwas Fluggerät Teile Ankaras und Instanbuls scheinbar in ihren Besitz nahmen, schwante manchem bereits, dass der Spuk schnell vorbei sein würde. Von Beginn an wirkte das Ganze seltsam befremdlich, ja geradezu dilettantisch. Live konnte die Welt zuschauen, wie sich das Militär auf einer Brücke verschanzte, wie es einen Flughafen besetzte und den Staatssender TRT einnahm, um sich wenig später fast widerstandslos zu ergeben. Überall die gleichen Szenen: Die mit übergroßen Türkei-Flaggen anrückenden Massen eroberten ihre Stadt spielend leicht zurück. Der von Erdogan telefonisch bestellten „Armee der Zivilisten“ gelang es problemlos, die zwar zahlenmäßig unterlegenen, aber schwer bewaffneten Soldaten einzuschüchtern. Nein, da sind sich viele Experten einig, so sieht ein ernstgemeinter Putsch nicht aus. Erdogan verfolgte das makabere Schauspiel aus dem sicheren Versteck heraus und erklärte es wenige Stunden nach Beginn kurzerhand für beendet. Allerdings nicht, ohne mehr als 260 Tote zu hinterlassen, von denen rund 100 auf Seiten der „Putschisten“ zu beklagen sind. Die schräge Inszenierung gipfelte in Erdogans geschmackloser Feststellung, der Putschversuch sei ein „Geschenk Gottes“.

Der Führer, der auch schon mal Hitler-Deutschland als Beispiel für den Umbau des türkischen Staates nennt, verschwendet seit Samstag keine Minute, um die Gunst der Stunde zu nutzen. 2.750 Richter und Staasanwälte wurden ihrer Posten enthoben, mehr als doppelt so viele politische Gegner verhaftet. Die Welle der Säuberung und Gleichschaltung überrollt das Land mit unvorstellbarer Wucht. Angesichts dieser Entwicklungen sollte man meinen, es ginge ein Aufschrei durch die zivilisierte Welt, der vor allem aus Deutschland kommen müsste. Die Anfänge des Aufstiegs der Nationalsozialisten sind wohlbekannt. Doch weit gefehlt! Nur zaghaft melden sich Politiker der zweiten und dritten Reihe mit Kritik zu Wort. Der Rest – von der Kanzlerin bis zum Außenminister – freut sich mit dem Despoten über den „Sieg der Demokratie“. Von Washington über Brüssel bis nach Berlin überbietet sich die „politische Elite“ darin, Erdogan wohlfeile Wortgirlanden zu binden. Voller Erleichterung bejubelt man die Niederschlagung des militärischen Putsches und lässt dabei unerwähnt, dass der zivile Putsch in vollem Gange ist. Wo sich die westliche Welt im Falle der Ukraine noch einig war, dass nämlich Putschisten zu unterstützen seien, die ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt mal einfach so abgesetzt hatten, betrachtet sie die Sache im Falle der Türkei genau andersherum. Was gut zwei Dutzend Militärbasen und ein grotesker Flüchtlingspakt doch anrichten können.

Natürlich ist die Sorge der NATO ebenso begründet wie die der EU: Zu leicht könnte Erdogan sich als militärischer Partner bockig stellen oder gar Millionen von Flüchtlingen auf Europa loslassen. Man hat sich dem Herrscher ausgeliefert. Völlig undenkbar ist angesichts dieser Lage ein EU-Beitritt der Türkei – und doch wird man ihn auf mittlere Sicht wohl nicht mehr verhindern können. Erdogan hat die westliche Welt in der Hand und macht sie zu seinem Spielball. Wir werden nie erfahren, wie sehr der türkische Befehlshaber hinter allem steckt – dass ihm der misslungene „Putsch“ als einzigem nutzt, ist jedoch unbestritten. Die von Krisen gebeutelten Staats- und Regierungschefs in Europa haben eine historische Chance verstreichen lassen, sich deutlich von einem Machthaber zu distanzieren, der sie verhöhnt, beleidigt und erpresst. Sie mögen damit ihre geostrategische Rolle „klug“ gespielt haben, doch über die Folgen sollten sie sich im Klaren sein. Wer Despoten zur Errichtung einer Diktatur gratuliert, darf sich nicht wundern, wenn ihm die eigene Bevölkerung das Vertrauen entzieht. Viel schlimmer noch ist aber, was sich seit Samstag in vielen deutschen Großstädten abspielt: Mit dem Aufmarsch Tausender Erdogan-Kämpfer erhalten wir einen Vorgeschmack darauf, wie sehr wir das Kuschen vor dem türkischen Herrscher noch bereuen werden.

 

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4 Kommentare

  1. Irgendwie erinnert mich das an den Sender Gleiwitz.
    Wenn es nicht so ernst wäre müßte man eigentlich lachen

  2. Nun hatte die Alte ja durch ihren Erdowahn-Deal fast alle Sympathien bei ihrer linken Basis verspielt, so hieß es. Hat ihr aber nicht wirklich geschadet, oder?
    Wir können nur hoffen, daß Mürküls erneuter Kotau ihr in der Journaille endgültig das Genick bricht. Ich glaube aber nicht daran. Die Journaille zeigt sich erstaunlich gelassen gegenüber Erdolf.

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