Manchmal ist das Leben verrückter als jede Satire. So wie am letzten Donnerstagnachmittag. Da überraschten die Online-Redaktionen der Zeitungen mit der Nachricht, Ronald Pofalla sei künftig Politik-Lobbyist bei der Bahn – in einem eigens für ihn geschaffenen Vorstandsressort mit üppiger Dotierung. Man fragt sich, wieso ein Staatskonzern, dessen Aufsichtsrat durch und durch mit Politikern besetzt ist, noch (Steuer-)Geld für einen politischen Türöffner im Vorstand ausgeben muss. Hier hat die Politik entschieden, doch oft sind es die Konzerne, die sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen, indem sie aktive Politiker rekrutieren, um Einfluss auf staatliche Entscheidungen zu gewinnen. Scham oder gar Fristen kennen weder Unternehmen, noch Abgeworbene. Immer häufiger erleben wir, wie Politiker oberer Hierarchieebenen aus ihren Funktionen geradezu heraus gekauft werden. Und nicht selten bekommen sie dies nicht nur von ihrem neuen Arbeitgeber vergoldet, sondern auch von ihren politischen Mentoren. Der Aufschrei hielt sich im Rahmen, weil Pofalla kein FDP-Politiker ist. Den „Klodeckel des Tages“ erhält er trotzdem. Er kann ihn gerne an seine politischen Wegbereiter weiterreichen.
Der „Fall Pofalla“ bekam dann doch noch eine ungeahnte Dynamik – und dies lag am Online-Satiremagazin „Der Postillon“. Das hatte mit geschickter Rückdatierung den Eindruck erweckt, es sei Urheber der Meldung, an deren Wahrheitsgehalt man nur zu gerne gezweifelt hätte. So war sich die Mehrheit der Internetgemeinde sicher: Alle Zeitungsredaktionen sind auf den „Postillon“ hereingefallen. Dass dies keineswegs abwegig erschien, hat seinen Grund in der Vergangenheit des Magazins, dem es mehrfach gelungen war, Berufsjournalisten mit seinen glaubwürdigen Satire-Beiträgen aufs Glatteis zu führen. Die Verwirrung war so groß, dass selbst Insider des Berliner Politik-Betriebes wie Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckhardt am Donnerstagabend offenbar nicht mehr wussten, was real und was nur Satire ist. Kein gutes Zeugnis stellt die Reaktion der Internetleser den Zeitungsredaktionen aus. Das Ansehen von Journalisten befindet sich auf einem Tiefpunkt – nicht nur bei der ohnehin kritischen Blogger-Szene. Auch der unvoreingenommene Nachrichtenkonsument entdeckt immer häufiger grobe journalistische Mängel, die vor allem einer schlampigen Recherche und dem unkontrollierten Drang entspringen, statt einer Nachricht das eigene Weltbild zu vermitteln.
So ist der Glaubwürdigkeitsverlust also selbstverschuldet. Schnelligkeit vor Gründlichkeit und Quote vor Qualität – diesem Credo scheinen sich viele professionelle Medienberichterstatter im Internetzeitalter verschrieben zu haben. Doch die Kritik muss viel weiter gehen: Die Medien müssen ihre Rolle grundsätzlich überdenken. Sie richten ihre Scheinwerfer derart grell auf die Politik, dass diese Selbstdarsteller und Systemprofiteure wie Motten anzieht. Doch Politik ist Dienst an der Gesellschaft, nicht mehr und nicht weniger. Wir müssen den politischen Betrieb uninteressant für jene machen, die ihn nur als Durchlauferhitzer für eigene Karriereambitionen sehen. Dazu gehört, dass wir die Showbühnen der Inszenierung und Profilierung abbauen – und Ämter auf Zeit eher kürzer als länger vergeben. Die Schweiz könnte Vorbild sein: Dort gibt es keine Berufspolitiker, die Abgeordneten gehen in der Regel einem nichtparlamentarischen Beruf nach. Und das Parlament kommt nur vier Mal im Jahr zusammen. Der geringere mediale Fokus auf Personen und der schlanke Staatsapparat lassen wenig Raum für die Befriedigung von Eitelkeiten und die Bereicherung am System. Wäre das nicht mal einen Versuch wert?