Mitte der Woche machte eine ganze Zunft einmal mehr unrühmlich auf sich aufmerksam. Die Meinungsmacher der Print-, Internet- und TV-Redaktionen präsentierten der Öffentlichkeit einmütig die von der Deutschen Presseagentur übernommene Quintessenz des „Datenreports 2013“. Dieser wird einmal im Jahr vom Statistischen Bundesamt, der Bundeszentrale für politische Bildung und zwei weiteren wissenschaftlichen Instituten erhoben, um zu messen, wie es um den Wohlstand und die soziale Sicherheit der Deutschen bestellt ist. Wichtige Fingerzeige enthält auch der diesjährige Sozialbericht wieder, doch verdient die versammelte Heerschar der deutschen Medien kollektiv den „Klodeckel des Tages“ dafür, dass Analyse und Recherche in der heutigen „Echtzeitwelt“ immer öfter auf der Strecke bleiben. Jeder will der Erste sein – oder wenigstens knapp als Zweiter durchs Ziel gehen. Das geht nur, wenn man vom Schnellsten abschreibt. Egal, ob Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung, Welt oder Zeit, alle waren sich einig, dass es hierzulande trotz steigender Beschäftigung immer mehr Armut gibt. Aufwiegeln ist gut für die Quote: „Wir hier unten gegen die da oben“.
Doch was steht wirklich in jenem Kapitel 6 des Datenreports, das erfrischend sachlich mit „Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung“ überschrieben ist? Die Ergebnisse lassen sich auf einen klaren Nenner bringen. In der Zusammenfassung heißt es wörtlich: „Zwischen 2009 und 2010 stieg der Median des Äquivalenzeinkommens in Deutschland. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung ist konstant geblieben.“ Mit anderen Worten: Die Kluft zwischen arm und reich ist eben nicht größer geworden. Zudem bezieht sich die Statistik auf jene Jahre, in denen die Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt erlebte und Millionen Beschäftigte zu verminderten Bezügen in Kurzarbeit geparkt wurden. Gemäß der Definition des Reports ist man mit weniger als 60% des mittleren Nettoeinkommens armutsgefährdet (nicht etwa arm). Diese Schwelle erhöht sich bei steigendem Durchschnittseinkommen – eine mathematische Binsenweisheit. Wer also unterdurchschnittliche Einkommenssteigerungen erlebt, wird unter Umständen der Gruppe der Armutsgefährdeten zugerechnet, ohne zwangsläufig ärmer zu sein als zuvor. Doch selbst unter den extremen Rahmenbedingungen der Krisenjahre stieg der Anteil derer, die unter der 60%-Grenze lagen zwischen 2007 und 2011 auf moderatem Niveau nicht einmal um einen Prozentpunkt an.
Eine sinnvolle Aussage ist ohnehin nur möglich, wenn man die Einkommenssteigerungen vor dem Hintergrund der Inflationsentwicklung betrachtet. Und hier läge tatsächlich ein Ansatz zu erheblicher Kritik – die jedoch nicht Arbeitgeber oder gar den Kapitalismus als Ganzes treffen kann. Sie muss sich an die Euro-Jubler richten, die beharrlich negieren, dass das Kunstprodukt einer verkorksten Gemeinschaftswährung wohlstandsgefährdend ist. Erst die Preissprünge des vergangenen Jahrzehnts, die kurzzeitig durch die Staatsschuldenkrise gebremst wurden, um in den letzten beiden Jahren umso schnellere Fahrt aufzunehmen, haben die Deutschen ärmer gemacht. Preissteigerungen gerade bei den Gütern des täglichen Bedarfs von mehr als 5% wecken Erinnerungen an die 1980er Jahre, als aber auch der Zins für Geldanlagen der Inflation Rechnung trug. Heute müssen wir konstatieren, dass das mafiöse Geflecht aus Zentralbanken und politischen Eliten die Ersparnisse einer ganzen Generation vernichtet – ganz egal, ob der Einzelne mit seinem persönlichen Einkommen nun über oder unter der willkürlichen 60%-Schwelle liegt. Und erst hier – bei der dramatischen Einschätzung des Risikos der Altersarmut – liegen die Kommentatoren richtig.
In dem Buch „Die Weltrepublik“ von Dr. Claus Nordbruch kann man nachlesen, welche Agenda mit dem Euro und der Finanzkrise verfolgt wird. Die Armutsgrenzen werden sehr niedrig geschraubt, wenn es um das nackte Überleben in einen Finanzdiktatur geht.