28.03.2024 Herzlich willkommen!

Johnsons unverhoffter Erfolg: Die Briten bekommen einen echten Brexit

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Photo by DonkeyHotey

Er hat es wieder einmal geschafft. Boris Johnson ist immer dann am stärksten, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht. Kaum einer hatte ihm zugetraut, einen Handelsvertrag mit der Europäischen Union hinzubekommen, der den Briten tatsächlich ihre Unabhängigkeit zurückgibt. Das war bereits 2019 so, als der frischgebackene britische Premierminister den zu EU-Bedingungen ausgehandelten Brexit-Deal der unglücklichen Theresa May noch einmal aufschnüren und in wesentlichen Punkten nachverhandeln ließ. Johnson ist ein Stehaufmännchen. Nichts könnte dies besser illustrieren als sein gesundheitliches Comeback vom Corona-Sterbebett, nachdem sein Leben im Frühjahr tagelang am seidenen Faden gehangen hatte. Nun, da ihm zuweilen das Schreckgespenst seines politischen Todes erschienen sein dürfte, weil er vor allem durch sein sprunghaftes Corona-Management immer stärker in der Kritik stand, hat der gewiefte Taktiker einen Befreiungsschlag gelandet. Die Feiertage boten Gelegenheit, sich über das 1246-seitige EU-UK Trade and Cooperation Agreement zu beugen. Als juristischer Laie stößt man dabei schnell an seine Grenzen. Doch auch dem Unbedarften bleibt nicht verborgen, dass eine der Kernforderungen der Briten im Handelsvertrag festgeschrieben worden ist: Der Europäische Gerichtshof hat künftig keine Mitsprache mehr in Handelsstreitigkeiten. Die Zeiten, in denen die Luxemburger EU-Richter den Briten nationales Recht diktieren konnten, sind nun vorbei. Johnson hat seinem Land die versprochene Souveränität zurückgegeben, ohne drohende einseitige Zölle oder Handelsbeschränkungen. Die Briten sind wieder frei.

Bald wird die Katerstimmung bei jenen Kontinentaleuropäern einsetzen, die noch gar nicht recht begriffen haben, dass die Briten wirklich weg sind

Was nur wenige Beobachter für möglich gehalten hatten, wird nun aller Voraussicht nach noch vor dem Jahresende vom britischen Parlament beschlossen und im Januar dann auch EU-weit ratifiziert werden: Großbritannien bekommt die Kontrolle über seine Gesetzgebung, seine Grenzen und seinen Handel zurück. Johnson und sein Team rund um Chefunterhändler David Frost haben das aus Sicht der Briten lange Zeit unmöglich Scheinende geschafft. Daran konnte auch der erbitterte Kampf des Erzfeindes Frankreich um die für die Briten wirtschaftlich eher nachrangigen Fischereirechte und der Erpressungsversuch des französischen Premierministers unter dem Vorwand, die Ausbreitung einer Corona-Mutation zu verhindern, nichts mehr ändern. Nun ist das Taktieren vorbei. Und bald wird die Katerstimmung bei jenen Kontinentaleuropäern einsetzen, die noch gar nicht recht begriffen haben, dass die Briten wirklich weg sind. Die EU ist mit dem Brexit ärmer geworden – im sprichwörtlichen Sinne. Immerhin wird sich das Leben für Europas Normalbürger nur wenig ändern: Touristen werden auch künftig nicht wirklich merken, dass Großbritannien kein EU-Land mehr ist. Das Geldwechseln gehörte ja immer schon zum Urlaub auf der Insel, so wie das Fahren auf der „falschen“ Straßenseite und die vielen anderen kulturellen Eigenheiten, die sich das Vereinigte Königreich gottlob selbst als EU-Mitglied stets bewahrt hatte. Und auch an den Gebühren fürs Mobilfunktelefonieren ändert sich nichts. Großbritannien bleibt eine Reise wert, sobald dies irgendwann wieder unbeschwert möglich ist. Anders sieht es für Unternehmen aus: Hier wird Brüssel ein bürokratisches Monstrum errichten, um sein Mütchen an den abtrünnigen Briten noch lange nach dem Brexit kühlen zu können.

Für die Briten wird es nun darauf ankommen, ihre Zeit ohne Brüssel für eine grundlegende Neuaufstellung und die Gestaltung der Freiheit zu nutzen

Auf Johnson und sein Kabinett kommt unterdessen viel Arbeit zu. Der 56-jährige Regierungschef hat zweifelsohne die härtesten ersten 18 Monate erlebt, die je ein britischer Premierminister nach dem Krieg zu überstehen hatte. Seine Amtszeit gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt, mit enormen Bedrohungen für sein politisches und sein eigenes Leben. Die größte Herausforderung könnte ihm aber nun erst bevorstehen. Nichts ist schwieriger als der Umgang mit neu gewonnener Freiheit. Wir Deutsche wissen dies aus eigener Erfahrung. Für die Briten wird es nun darauf ankommen, ihre Zeit ohne Brüssel für eine grundlegende Neuaufstellung zu nutzen. Ironischerweise ist Corona dabei kein Nachteil, sondern – ganz im Gegenteil – eine Hilfe. Die riesigen Summen, die zur Eindämmung der Gesundheitskrise bereits ausgegeben worden sind, die politisch bisher nicht durchsetzbaren Sozial- und Arbeitsmarktreformen oder auch die eingeleiteten Korrekturen in der Fiskalpolitik wären ohne „Corona-Notstand“ niemals vorstellbar gewesen. Vor allem aber wäre jede künftige wirtschaftliche Verschlechterung von den Gegnern des EU-Austritts innerhalb und außerhalb Großbritanniens dem Brexit zugeschrieben worden. Nun wird man Corona für alles die Schuld geben und sich damit auch Geduld erkaufen können. Die Voraussetzungen, um Großbritannien in ein neues Zeitalter zu führen, könnten daher paradoxerweise kaum besser sein. Die Brexit-Hardliner haben nicht bekommen, was sie wollten. Sie wollten den vernichtenden Sieg über Brüssel. Doch sie haben einen Deal bekommen, der den Briten ermöglicht, ihr eigenes Schicksal zu gestalten. Der G7-Vorsitz 2021 bietet hierfür die ideale Plattform. Dies wird am Ende allen nutzen – auch Europa.

 

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20 Kommentare

  1. Es ist endlich ein schöner Erfolg und Sieg: Die Selbstbestimmung der Briten. Vergleichbar mit den Befreiungskriegen von der Herrschaft Napoleons.
    Warum hat der Kampf so lange gedauert? Das Ziel der Briten: Souveränität. Genau das haben die Franzosen verweigert. Die Deutsche Wirtschaft und die Engländer wollen freien Handel treiben.
    Sie sind liberal, weil sie das für ihre Wirtschaft brauchen. Die Franzosen haben mit der Mehrheit der protektionistische Ländern wie Griechenland, Italien, Spanien ein Umverteilungssystem geschaffen, das von den leistungsstarken Ländern finanziert wird. Die Alimentierten dominieren die Leistungserbringer. Der Etatismus hat in Frankreich eine lange Tradition. Die Politik herrscht nur, wenn der Staat durch die Beherrschung der Wirtschaft Arbeitsplätze und Umverteilungsmasse schafft. Die Alternative, starke Unternehmen durch Wettbewerb, ist unbekannt. Die Wirtschaftstätigkeit der Bürger wird durch staatliche Eingriffe und Wettbewerbsverzerrungen erstickt, aber durch Protektionismus privilegiert. Das ist das System EU.
    In der EU konkurrierten Wirtschaftsinteressen der leistungsstarken Volkswirtschaften mit den Interessen Frankreichs, mit England ein abschreckendes Beispiel zu exekutieren. Barnier hoffte, England würde sich in den aufreibenden Kämpfen selbst zerlegen. Zuletzt gab England das auschlaggebende Bonbon in Form des großzügigen Übergangs bei den Fischereirechten. Das verkauft Barnier als seine Leistung für die Franzosen.
    Die Hartnäckigkeit von Persönlichkeiten wie Boris hat gesiegt: Das war: blood, sweat and tears.

  2. Ohje. Ein positiver recht rechter aber doch nicht richtiger kommentar – von einem, der nicht alles sieht, oder sehen kann weil er es nicht sehen will …
    Wenn er so weiternmacht, bekommt er auch ein huebsches poestchen in whitehall …
    Ich mag nicht auf all diese positiven Darstellungen eingehen, die so ermuedend sind und fuer die mindestens anderen 50% der Briten eben nicht zutreffen…
    Aber das werdet ihr in den kommenden Monaten selber erfahren.

  3. Bleibt vielleicht noch nach zu tragen was die Briten NICHT mehr haben… ? Und was von etwa 300’000 Briten in Spanien und 2’7 Millionen in der EU schmerzhaft bewusst ist …
    natuerlich spielen diese Verluste fuer den Europaeer wie fuer den Verfasser des Berichts keine Rolle…C
    Changes compared to benefits of EU membership for Brits,
    and lost from 2021
    * Free movement of people
    – Right to reside, work, study, live, retire in 27 EU countries
    – Visa free travel beyond 90 days within a 180 day period
    – Removal of border checks
    – Removal of roaming charges
    – pet passports
    * Trade in Goods
    – Frictional trade
    – Zero customs formalities
    – Zero SPS checks
    – Zero rules of origin procedures = to negotiate
    – Zero tariffs or quotas = to negotiate
    – Fisheries agreement = to negotiate
    * Trade in Services
    – Easy recognition of professional qualifications
    – Financial services passport
    * Air Transport
    – Single aviation area, full freedom
    – Bilateral 5 th freedom for extra-EU air cargo
    * Energy
    – Single internal energy market
    – Energy trading platforms
    * EU platforms
    – Access to Erasmus
    – Access to NextGenerationEU, SURE
    – Galileo encrypted military signal
    – Access to Horizon Europe

    1. Das ist sachlich zum Teil falsch, wo immer Sie das herauskopiert haben. Und eine ganze Reihe der genannten Punkte ist für den überwiegenden Teil der Briten von nachrangiger Bedeutung. Sie dürfen aber gerne um die EU trauern, wenn Sie das mögen.

  4. Prima R. Peymani Artikel ! Adam : Ihr Kommentar trieft vor Neid ! Johnson, Frost, Congratulations ! Trotz allem Widerwillen: Joch abgeschüttelt ! Well done.

  5. Vielen Dank für Ihren Artikel, lieber Herr Peymani. Endlich hat das ganze Gehampele ein
    Ende. Auch wenn ich zugeben muß, daß mein Blick auf die ganze Materie nicht gerade fachmännisch ausgerichtet ist, dennoch: ich freue mich „wahnsinnig“ für BB – für die Briten und Boris Johnson. In GB darf wieder links gefahren werden, bildlich gesprochen. Dabei hatte sich zwischenzeitlich meine Sympathiekurve für den Prime Minister of the United Kingdom, ich muß es zugeben, etwas nach unten geneigt, obwohl genügend Substanz erhalten blieb – ganz im Gegensatz zu dem Österreicher, der enttäuscht mich grenzenlos (aber das nur nebenbei)] Vielleicht abschließend noch eine kleine Anmerkung, werter Herr Peymani: ich halte es für unhöflich, einfach so geduzt zu werden. Irgendwie paßt das nicht zu Ihnen.

    1. Herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Wo habe ich mir den Fauxpas erlaubt, Sie zu duzen? Ich lege selbst großen Wert auf Umgangsformen und kann mich nicht erinnern, an welcher Stelle dies geschehen sein könnte.

      Beste Grüße,
      Ramin Peymani

      1. Danke für Ihre Antwort, lieber Herr Peymani. Eigentlich wollte ich das Ganze nicht zu hoch hängen und lediglich als Randbemerkung verstanden wissen. Es sollte eine Anspielung sein auf 1. „Schreibe einen Kommentar“, 2. „Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht“, 3. unter „Kommentar abschicken“ heißt es zweimal
        „Benachrichtige mich über…“ Wenn das aber gar nicht von Ihnen kommt, dann bitte ich Sie um Entschuldigung. Grundsätzlich geht es mir in erster Linie auch nur um Ihre Artikel – und die lese ich immer wieder gerne (ganz abgesehen von den oft unendlich traurigen, wenn nicht gar niederschmetternden Anlässen und Themen. Aber das ist
        eine andere Geschichte)
        ich grüße Sie herzlich.

        1. Lieber Herr Binder,

          vielen Dank für den Hinweis. Tatsächlich sind dies die Voreinstellungen der WordPress-Plattform, an denen ich meines Wissens nach leider nichts ändern kann. Sollte jemand der anderen Leser meines Blogs wissen, wie ich die Standardtexte abändern kann, wäre ich für eine entsprechende Rückmeldung dankbar. Ansonsten müssen wir alle leider damit leben, dass WordPress uns duzt.

          Beste Grüße,
          Ramin Peymani

    2. Sehr geehrter Herr Binder,#
      ohne belehrend oder besserwisserich herüber zu kommen – es ist heute üblich, sich im Internet, insbesondere in Foren, zu duzen. Ich selbst gehöre auch zu den älteren Jahrgängen und empfinde das nicht als hinderlich, befremdlich oder gar schlimm. Ich denke auch dass diese Forum der Anrede mittlerweile eingeschliffen ist, man kann es nicht mehr ändern. Solange das DU nicht plump oder beleidigend herüberkommt, ist es doch okay. Vielleicht können Sie, anbetracht der guten Artikel, insbesondere hier, über Ihren eigenen Schatten springen? Bitte sehen Sie das nicht als Belehrung – das liegt mir wirklich sehr fern.
      Mit besten Grüßen
      Mary

      1. Dem kann ich mich Anschließen.
        Im Übrigen im zwischenzeitlich fast toten News-Netz gilt das Siezen als Beleidigung!

      2. Liebe Frau Mary.A (ich hoffe, daß Sie dies nicht als unhöflich empfinden und von einer
        Ihnen unbekannten Person lieber mit „sehr geehrte“ angesprochen werden möchten),
        vielen Dank für Ihre netten Zeilen. Ich empfinde die keinesfalls besserwisserisch, und
        überhaupt nicht belehrend. Natürlich respektiere ich Ihre Sichtweise. Für mich stellt ein „Sie“ nach wie vor eine wunderbare und respektvolle Form der Anrede dar. Ein „Du“ dagegen sollte reifen, überhöht gesprochen: man muß es sich verdienen. Sollte ich mit so einem altmodischen Kram aus der Welt gefallen sein – nun, dann ist es halt so.
        Herzliche Grüße.

        1. Ein DU verdient man sich nicht im Internet, dort ist es Umgangssprache. Passen Sie sich an oder machen Sie sich lächerlich. Mir soll es egal sein.

  6. Winston Churchill In seiner legendären Rede vor der Universität Zürich im Jahr 1946 drängte die Europäer zwar zum Zusammenschluss: „We must build a kind of United States of Europe.“

    Aber er nahm ein Land von diesen Bauarbeiten aus: das eigene. Wer damals genau hinhörte, bekam exakt jene Sicht auf Kontinentaleuropa präsentiert, die bis heute Gültigkeit besitzt: „Großbritannien, das mächtige Amerika und, ich hoffe, Sowjetrussland müssen die Freunde und Förderer des neuen Europa sein.“ — Die Mitgliedschaft in der EU wird wohl ein Betriebsunfall gewesen sein !

  7. Sehr geehrter Herr Peymani, liebe Mitlesende,

    von Herzen wünsche ich allen ein gutes und gesundes Neue Jahr. Möge es ein besseres werden.

    Ein Dankeschön an Herrn Peymani für seine sehr fundierten Artikel und die viele Arbeit damit.

    Ich bitte um Entschuldigung, dass ich hier so einfach reinposte, weiß aber nicht wo ich sonst eintragen könnte.

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