04.10.2024 Herzlich willkommen!

Sportliche Fairness: Die Angst der FIFA vor unbekanntem Terrain

Zum Start der Weltmeisterschaft geht der „Klodeckel des Tages“ an den Weltfußballverband FIFA – aber nicht wegen der korrupt anmutenden Strukturen oder der offenkundigen Ignoranz menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen. Hier soll es um den Sport gehen. Und zu diesem gehören die Schiedsrichter und deren Assistenten, die nach nur drei WM-Spieltagen erneut in der Kritik stehen. Nicht zuletzt die zahllosen Fehlentscheidungen einer Reihe offensichtlich überforderter Unparteiischer während der WM in Südafrika haben es ermöglicht, die greisen Männer der Regelkommission dazu zu bewegen, technische Hilfsmittel zuzulassen. So kommt in Brasilien eine Technologie zum Einsatz, die erzielte Tore zweifelsfrei belegen können soll. Allerdings genügt dieser erste Schritt keinesfalls und ist zudem in Europa immer noch nicht vollzogen worden. Hier übernehmen diese Aufgabe Torlinienrichter. Dabei kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass das Spiel inzwischen einen Punkt erreicht hat, an dem auch viele weitere Helfer an den Linien zu keiner Verbesserung der Situation mehr beitragen können. Modernere Maßnahmen wären daher notwendig, etwa der Videobeweis zur sofortigen Überprüfung und Korrektur spielentscheidender Schiedsrichterfehler.

Allein die zuständigen Verbandsfunktionäre üben sich weiter in Fußballnostalgie und finden es bereichernd, wenn erboste Zuschauer nach einer Fehlentscheidung ihrem Frust freien Lauf lassen. Ebenso scheinen sich die Funktionäre an den Tränen jugendlicher Fans zu erfreuen, die einfach nicht verstehen können, warum Erwachsene offenkundige Ungerechtigkeiten tatenlos zulassen. Angeblich, so die Liebhaber des 19. Jahrhunderts, gehöre dies zum Spiel und mache den Fußball so schön. Eingriffe in die Tatsachenentscheidungen von Schiedsrichtern lehnen sie strikt ab, ganz gleich wie grob der Fehler auch sein mag. Theoretisch könnte ein Schiedsrichter auf Tor entscheiden, ohne dass eine der beiden Mannschaften in 90 Minuten auch nur einen Schuss abgegeben hätte – oder er gibt einen Elfmeter, dem nachgewiesenermaßen kein Foul vorausgegangen war, was wesentlich häufiger passiert. So geschehen im WM-Eröffnungsspiel der brasilianischen Mannschaft gegen tapfere Kroaten, die dadurch auf die Verliererstraße gerieten und nach einer weiteren Fehlentscheidung noch einen Treffer verkraften mussten. Wer dies für eine Bereicherung des Spiels hält, hat viel zu erklären.

Fußball ist mittlerweile ein Milliardengeschäft. Längst ist die Vermarktung das dominierende Kriterium, orientieren sich Anstoßzeiten an den Fernsehgewohnheiten und müssen die Spieler Schulungen durchlaufen, um zu lernen, wie man sich medial optimal präsentiert. Nichts wird mehr dem Zufall überlassen, weil es um so viel Geld geht. Da ist es völlig absurd, dass es nach wie vor nicht möglich sein soll, die Hilfsmittel auszuschöpfen, die das 21. Jahrhundert bietet, um auch einen einwandfreien, sportlich-fairen Verlauf des Spektakels zu gewährleisten. Wenn also so mancher Apparatschik meint, die sofortige Klärung strittiger, weil spielentscheidender Sachverhalte auf dem Feld gefährde die Seele des Fußballs, möge er sich bitte bei anderen Sportarten informieren. Eishockey etwa hat nichts von seiner Faszination eingebüßt, nur weil ein Oberschiedsrichter heikle Torszenen noch einmal überprüft. Auch vom Feldhockey, vom American Football oder vom Tennis ist nicht bekannt, dass eine begrenzte Anzahl erlaubter Einsprüche in kritischen Spielsituationen die Sportarten unattraktiver gemacht hätte. Fairness und Transparenz heißen die Zauberworte, die der FIFA jedoch ohnehin weitgehend unbekannt zu sein scheinen…

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