Einer der verheerendsten Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte jährte sich am Samstag zum vierzigsten Mal. Am 26. September 1980 riss eine gewaltige Bombenexplosion zwölf Besucher des Münchner Oktoberfestes in den Tod und verletzte mehr als 200 Menschen. Auch der Attentäter kam ums Leben. Bis heute sind viele Fragen ungeklärt, und es erscheint ziemlich unwahrscheinlich, dass jemals Licht ins Dunkel kommt. Handelte der Täter allein oder war er Teil eines terroristischen Netzwerks? Was waren seine Motive? War er gar ein V-Mann des Verfassungsschutzes? Auch neue Ermittlungen brachten 2014 kaum weitere Erkenntnisse. Sie wurden nach kurzer Zeit eingestellt. Die damaligen Betreiber der Wiederaufnahme hatten ihr Ziel allerdings erreicht: Der Anschlag auf das Oktoberfest wird seither offiziell als rechtsextremistische Tat eingestuft. Und so ließ die Politik zum vierzigjährigen Gedenken ihre erste Garde antreten. Neben Bundespräsident Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Söder fanden sich viele weitere Politiker und so ziemlich alle Organisationen ein, die das bewährte Trommelkombinat im Kampf gegen Rechts bilden. Dass auch Opfer vor Ort waren, die eigentlich im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung hätten stehen sollen, ging dabei fast unter. Stattdessen kaperten Politik und Verbände die verregnete Zeremonie für ihre Agenda. Ein Bild macht die Runde, das drei Opfer des Anschlags im strömenden Regen zeigt, während sich die hohe Politik in sicherer Entfernung mit Regenschirmen schützt. Nichts könnte besser beschreiben, welche Rolle die Opfer für die selbsternannten Verfechter des Guten spielen: Sie sind kaum mehr als Staffage, nur ein Mittel zum Zweck.
Die Politik interessiert sich immer nur dann für Menschen, wenn sie sich von ihnen einen politischen Nutzen verspricht oder sie für eigene Ziele benötigt
Jahrzehntelang hat sich die Politik nicht für sie interessiert. Nun, da man sie so gut für den Kampf gegen Rechts einspannen kann, dürfen sie in die erste Reihe, wenn auch im strömenden Regen und ohne Schirm. „Ihre Hilferufe hat man ignoriert, ihre Forderungen nach Unterstützung wurden oft genug abgelehnt“, fiel plötzlich Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter auf. Es ist das sattsam bekannte Lied einer verlogenen Kaste, die sich immer nur dann für Menschen interessiert, wenn sie sich von ihnen einen politischen Nutzen verspricht oder sie für eigene Ziele missbrauchen kann. Nur unzureichend konnten die anwesenden Politiker dies verschleiern. Selten klaffte eine größere Lücke zwischen den hehren Bekenntnissen der Redner und dem trostlosen Bild, das die lieblos inszenierte Veranstaltung abgab. Nicht einmal ein Zelt hatte man für die im Regen ausharrenden Teilnehmer der Gedenkfeier aufstellen wollen, während sich die von ihrer Mission beseelten Sonntagsredner auf einer selbstverständlich überdachten Bühne profilierten. Nur in den wenigen Momenten, in denen Überlebende des Anschlags zu Wort kamen, erreichte die Veranstaltung würdiges Format. Der Rest bestand aus Warnungen vor „rechts“ und einer akribischen Aufzählung aller als rechtsextremistisch eingestuften Taten der vergangenen vier Jahrzehnte. Wo man den RAF-Terror der 1970er und 1980er Jahre heute politisch lieber totschweigt, wo die Opfer vom Breitscheidplatz lange warten mussten, bis man sich überhaupt einmal mit ihnen befasste, und jedes Jahr im Dezember vergeblich auf eine angemessene Würdigung durch die erste Reihe der Politik hoffen, ließ man im Gedenken an das als rechtsterroristisch verankerte Attentat auf der Theresienwiese nichts aus.
Wer steckte hinter dem Anschlag? Was wissen die Behörden genau? Warum ist das politische Interesse an einer Aufklärung offenbar nicht groß genug?
Ein Opferfonds in Höhe von 1,2 Millionen Euro ist nun auf den Weg gebracht worden. Er kommt für viele zu spät. Und er beantwortet die quälenden Fragen nicht, die sich nicht nur die Hinterbliebenen der Ermordeten und die vielen Verletzten stellen, deren Leben für immer zerstört wurde: Wer steckte hinter dem Anschlag? Was wissen die Behörden genau? Warum ist das politische Interesse an einer lückenlosen Aufklärung offenbar nicht groß genug? Eine Politik, die es Ernst meinte, würde ihren Sonntagsreden Taten folgen lassen. Denn Klarheit und Transparenz sind die besten Mittel im Kampf gegen Extremismus. Das gilt für rechten Terror so sehr wie für linken und für religiös motivierten. Stattdessen wandelte Bundespräsident Steinmeier auf verschwörungstheoretischem Terrain: „Die rechtsterroristischen Mordtaten der vergangenen Jahrzehnte waren nicht das Werk von Verwirrten. Die Täter waren eingebunden in Netzwerke des Hasses und der Gewalt“, spekulierte Deutschlands Staatsoberhaupt, vergaß allerdings hinzuzufügen, dass man diese Verwirrtheit nur islamistischen Attentätern zugesteht. Die Berufspolitik hat mit der Ausschlachtung des Oktoberfestanschlags und der Instrumentalisierung der Hinterbliebenen einmal mehr eine Chance verpasst, die Gesellschaft im Kampf gegen jede Form des Extremismus hinter sich zu vereinen. Vielleicht fürchtet sie darum, dass das Alleinstellungsmerkmal ihres Kampfes gegen Rechts darunter leiden könnte. Das vermeintliche Gedenken an die Opfer hat den faden Beigeschmack der Heuchelei einer Kaste, der es nicht um die Menschen geht, sondern um die Vermarktung, Verteidigung und Verankerung von Ideologien.
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